Sonntag, 11. September 2011

Antophologen bauen keine Häuser

Deutschland ist ein bemerkenswertes Land. Mit 21 können junge Menschen hier schon einen persönlichen Finanzmanager akkreditieren, auch wenn sie über fast keine nennenswerten Finanzen verfügen.
Vielleicht werde ich ja gerade deshalb an einem verregneten Dienstag zu Herrn Kules gebeten, meinem eigenen Finanzmanager, um ihn kennen zu lernen.  

In diesem Land gibt es viele Termine, die ein Bürger absolviert, weil man sich kennen lernen will. Dabei will der gemeine Deutsche eigentlich selten Kontakte knüpfen, zumindest nicht zu seinem Finanzmanager oder seinem Bausparexperten. Auch im Urlaub bleibt man lieber unter sich und gibt sich, sobald andere Landsmänner und –frauen gesichtet, besondere Mühe, nicht als solcher erkannt zu werden.
Aber der Urlaub ist vorbei, und somit auch die Zeit, in der man entscheiden kann, wen man kennen lernt und wen nicht. 

Ein bisschen gelangweilt sitze ich da und betrachte die neongrünen Schnürsenkel meiner Schuhe, durch die der erste Septemberregen dringt. Kurz darauf steht Herr Kules vor mir. Er strahlt übers ganze Gesicht, denn es ist sein Moment. Jetzt lernen wir uns kennen und wie zum Beweis streckt er ohne zu zögern die rechte Hand aus, die ich schütteln darf.
Herr Kules scheint so glücklich, dass ich mir sicher bin, die wahre Bedeutung dieser Begegnung noch nicht erahnt zu haben.

Durch einen endlos weißen Flur geleitet er mich zu einem traurigen Büro, in dem kein Zeichen einer menschlichen Existenz zu erkennen ist. Der Kollege ist im Urlaub, erklärt er und zeigt mit der Hand auf einen Stuhl. Ich folge seiner Aufforderung und setze mich, während Herr Kules mir gegenüber hinterm Schreibtisch Platz nimmt. 
Noch einmal erzählt er mir, dass er mich kennen lernen wollte. Läge mein Geld nicht bei dieser Bank, hätte ich spätestens jetzt einen Weg gesucht, zu gehen. Aber läge mein Geld nicht bei dieser Bank, wäre ich auch gar nicht hier.
Er erzählt ein bisschen von sich, denn wir lernen uns gerade kennen.

Geld ist sein Geschäft und schon bald will Herr Kules mich nicht nur kennen lernen, sondern auch gleich mehr: Ob ich schon verdienen würde, fragt er mich, wie viel ich verdiene und wo.
Was ich studiere.
Ich studiere Kultur- und Sozialanthropologie und Linguistik, sage ich ihm. Er runzelt die Stirn und lächelt dann ein wenig hilflos.  
Gut, was schreibe ich da jetzt auf, fragt er und scheinbar ist diese Frage mehr an ihn selbst gerichtet als an mich.
Ich versuche, ihm zu helfen. Na, Anthropologie.
Natürlich. Er nickt und zögert dennoch, der Stift mit dem Emblem seiner Bank rudert über dem Papier in der Luft.
Ich schreibe es wahrscheinlich falsch, sagt er und lacht schrill, aber ich weiß, was gemeint ist.
Ich bin mir da nicht sicher, denn er schreibt Antophologie. 

Nun, sagt er geschäftig und lächelt, denn er meint es gut mit mir. Was werden Sie denn später mal verdienen?
Ich muss lachen. Ich kann es nicht ändern. Wissen Sie, sage ich, es kann sein, dass ich gar nichts verdienen werde.
Herr Kules lächelt. Er versteht. Nicht. Denn er ist Geschäftsmann. Nun, in welcher Sparte werden Sie denn arbeiten, nachdem Sie Ihren Abschluss gemacht haben?
Auch das kann ich ihm nicht sagen. Ich kann es ihm einfach nicht sagen. Und ich hätte es ihm tatsächlich gern gesagt.
Das gefällt Herrn Kules weniger. Er schweigt und fährt sich durch die Borstenhaare.
Es kann sein, sage ich und versuche, ihm irgendwie entgegenzukommen, dass ich sehr viel verdiene. Es kann aber auch sein, dass ich sehr wenig verdiene.
Herr Kules nickt. Also wissen Sie es noch nicht. 
Ich bejahe. 

Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als wolle er mich fragen, ob ich nicht besorgt sei; so blind in die Zukunft zu tapern, finanziell abhängig von den Eltern, allein, als Frau. Aber er schluckt seine Einwände hinunter und schenkt mir ein weiteres zinsfreies Lächeln. 
Haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, wo Sie später wohnen wollen? Ich gucke ihn groß an und antworte nicht. Er rudert mit den Armen. Wollen Sie in eine Wohnung ziehen, eine Wohnung kaufen oder ein Haus bauen?
Ich kann Ihnen wenige Zusagen machen, meine ich, aber ein Haus werde ich nie bauen oder kaufen. Und eine Wohnung auch nicht. Ich verzichte darauf, ihn noch einmal darauf hinzuweisen, dass dies womöglich gar keine bewusste Entscheidung meinerseits ist. Antophologen bauen keine Häuser.
Gut, sagt er und klingt fast erleichtert. Damit kann er arbeiten. Sie fragen sich sicherlich, weshalb ich Sie das alles frage, beginnt er nun. Sie sind einundzwanzig – und da sollten Sie sich schon einmal Gedanken über Ihre Rente machen. 

An dieser Stelle nehmen das Gespräch und auch die Existenz meines persönlichen Finanzmanagers absurde Züge an. 
Wenn Sie sich mit Anfang vierzig Gedanken über Ihre Rente machen, ist das zu spät. Die Worte kommen hart und ungeschönt, aber Herr Kules fährt ungestört fort: Es reicht nicht, sich 27 Jahre vorher zu überlegen, wie man sich den Ruhestand sichert. 

Ich sage nichts. 
Ich weiß tatsächlich nichts zu sagen, denn ich bin noch nicht einmal 27. 

27, das ist eine Zahl, deren zeitliche Länge ich mir noch nicht vorstellen kann. Abgesehen von der Tatsache, dass wir gerade von Rente sprechen, nachdem ich bekundigen musste, überhaupt nicht zu wissen, ob ich einen Arbeitsplatz finde. 
Wenn Sie in diesem Jahr noch beginnen, monatlich 100 Euro auf die Seite zu legen, bekommen Sie mit 67 eine monatliche Rente von etwa 150 Euro dazu, erklärt er mir. 
An dieser Stelle wird Herr Kules vom Mensch zur Maschine: Zahlen, Daten, Zinssätze und Prozente hageln auf mich hinab, Folien werden mir präsentiert, Pfeile zeigen wild in viele Richtungen, verfolgt von Herrn Kules Fingern, die darauf hin- und herrasen. 
Wenn Sie dann 67 sind, beendet er voller Stolz seinen Finanzmonolog und strahlt mich zufrieden an, erhalten Sie von uns 15 Jahre lang Ihre angesparte und wohlverdiente Rente. 

Und dann? 
Dann sterbe ich mit 82, denn meine Bank sieht es nicht vor, dass ich älter werde. Dabei ist es doch kein Geheimnis, dass die Menschen immer älter werden. Und gerade die Frauen. 
Fragen Sie mal einen Soziologen. Oder einen Antophologen. 

Herr Kules ist stark davon überzeugt, dass er mich mit seinem verführerischen Aufsagen von Bankkonditionen für das Unternehmen gewinnen konnte.
Machen Sie sich Gedanken, sagt er, als er mir die Hand schüttelt, wir wollen nur Ihr Bestes. 

Es regnet noch immer, als ich auf die Straße trete. 
Der Mensch ist kompliziert. Gerade der Deutsche. Er möchte immer gerne alles wissen; was geschehen wird; was man vorhat.  
Ich habe keine Ahnung, was ich vorhabe, was ich tun werde oder was ich werden werde. 
Ich beschließe, mir eine Bank zu suchen, die mir noch nicht sagen kann, wann ich zu sterben habe. 

1 Kommentar:

  1. Mal abgesehen davon, dass es nicht unbedingt einleuchtet, dass man 47 Jahre lang 100€ im Monat einzahlen muss, um dann 15 Jahre lang 150€ zu bekommen, ausser für die Bank, für die klingt das super. Achso, ja, und der Staat der zahlt dir ja den größten Anteil dazu.

    Sag bescheid, wenn du die Bank gefunden hast.

    AntwortenLöschen