Montag, 23. Mai 2011

"Geh bei Seite. Jetzt fliegen hier die Fetzen."

Der Miles gloriosus in Marburg

Vieles müssen sich die Römer gefallen lassen; ihre Sprache sei tot, ihr Reich untergegangen, ihr Einfluss schwindend. Dass derartige Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen, bewies die studentische Schauspielgruppe des Seminars für Klassische Philologie in den vergangenen zwei Wochen. Sie brachte ein Stück auf die Bühne, das mehr als 2000 Jahre alt ist und dennoch in vielen Punkten - Sprache, Humor, Theatertauglichkeit - mehr als begeisterte.

Das Publikum erlebt im Laufe der Vorstellung eine regelrechte Odyssee, die sich tatsächlich in all ihrer Vielfalt sehen lassen kann; die schöne Philocomasium nämlich trennte man von ihrem Liebsten Pleusicles. Nun lebt und leidet sie als Prestigeobjekt im Hause des herrlichen Pyrgopolinices, dessen hingebungsvolle Verehrung seiner Selbst dem schönen Stück den Namen gibt: Miles gloriosus, der ruhmreiche Soldat, der nämlich keine Gelegenheit auslässt, sich seiner unglaublichen Taten zu rühmen und zu preisen und dabei Achill, Herkules und eigentlich alle Helden der antiken Sagen in den Schatten zu stellen. 
Am liebsten jedoch hört er zu, während sein Sklave Palaestrio die von ihm verbrachten Heldentaten zum Besten gibt, und jener ist es auch, der den gesamten Verlauf des Schauspieles bestimmt, obgleich es oft genug danach aussieht, als würde der doch so durchdachte Plan scheitern. 

Mit allerhand List und der Hilfe seines betagten – und doch nicht müden – Nachbarn Periplectomenus gelingt es Palaestrio, die schöne Philcomasium den Händen des Soldaten zu entreißen und sie mitsamt Pleusicles unbemerkt von Ephesus nach Athen zu schicken. 
Als gewitzter Drahtzieher im Hintergrund schmiert er währenddessen dem Narziss Honig ums Maul, um die getrennte Liebe wieder zu vereinen.
Dabei kommt tatsächlich letztlich niemand zu Schaden, - bis auf den glorreichen Soldaten, der zuletzt einsehen muss, dass sein Stolz und die vollbrachten Heldentaten nicht jeden in Entzückung versetzen. 

Bekannt mag vielen die Handlung des Miles gloriosus erscheinen, denn das Schauspiel, das Titus Maccius Plautus (ca. 250 - 184 v- Chr.) niederschrieb, lässt schnell an Shakespeare's The Merry Wives of Windsor denken; eine Geschichte, in der Lügen, Frauen und ein überschätztes Selbst mit Namen Falstaff ebenso erscheinen.
In Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen für Plagiate interessieren, sei an dieser Stelle nur gesagt: Plautus wandelte zuerst auf dieser Erde. Ob Shakespeare von ihm wusste, wissen wir nicht. Aber er hat einen nicht einzuholenden zeitlichen Vorsprung, weshalb uns Shakespeares Komödie viel eher an Miles erinnern sollte als andersherum.

Fast zweieinhalb Stunden dauert die Aufführung, eine kurze Pause gestattet sowohl den Schauspielern als auch dem Publikum, Luft zu schnappen. Am Ende erntet das Ensemble tosenden Applaus, und das durchaus zu Recht, denn das dargebotene Schauspiel bot tatsächlich einen hohen Unterhaltungswert, nicht zuletzt wegen der beachtlichen schauspielerischen Leistung. 

Noch viel erstaunlicher ist dabei vielleicht eine recht unscheinbare Beobachtung, die wohl doch jeder Besucher an diesem Abend gemacht haben wird: der Mensch des 21. Jahrhunderts unterscheidet sich zwar vom antiken Bürger in nicht wenigen Dingen (wie etwa dem I-Phone, der U-Bahn, Elektrizität oder gar dem Automobil), doch waren diese uns – oder wir ihnen? – gar nicht so unähnlich: denn es wird aus vollem Herzen gelacht und Witze, die wohl schon im zweiten Jahrhundert v. Chr. den Menschen erheiterten, tun es auch im Jahr 2011.

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