Freitag, 13. Mai 2011

Das Uni-Theater

Alles das, was zu Beginn eines Studiums neu und aufregend ist, verliert im Laufe der Jahre den Glanz des Unentdeckten, den Reiz des Ungereizten, und läuft schließlich dem Ende eines unsichtbaren Zeitstrahls entgegen; sicherlich ist im zweiten Semester noch lange nicht der Punkt erreicht, an dem man dem Studentenleben überdrüssig ist, sich satt gesehen hat. Und doch haben nach knapp acht Monaten gewisse Dinge ihren offensichtlichen Charme verloren, während andere ihre geheimen offenbaren.

Ein Ausflug in die Mensa etwa ist kein Ereignis mehr; er ist nötig und oft nur Teilbereich eines ganzen Tages, dessen Highlights weniger kulinarisch wenn nicht hoffentlich geistreich sind. Die Raumsuche in der Phil-Fak hat ebenfalls wenig von dem Spaßfaktor, mit dem die Schnitzeljagd in der einführenden Orientierungswoche zu vergleichen betrieben wurde und kann bei Zeitdruck schon mal zur Verzweiflung führen.
Die Nerd-brille: Komischsein ist angesagt.
Wir haben uns eingereiht in den Strom aus Studenten und fluten die UniBib, die Mensa oder das Hörsaalgebäude. Und langsam, allmählich eröffnet sich uns das Studentenleben, es wird hinter die Kulissen gesehen und Dinge, Gegenstände oder gar Personen, die wir zunächst bewunderten, erblicken wir nun in einem anderen Licht. Und wundern uns. 

Denn: die Uni ist – neben ihrer Funktion als Partnerbörse und Wissenslokal – ein Theater. Ein Theater, in dem sich jeder seine Rolle aussucht und sie aufs beste spielt. Allein fünfzehn Minuten reichen aus, um dem bunten Treiben der studentischen Akteure einen gewissen Hang zur Tragik, zur Nostalgie und auch zum Drama zuzusprechen. Fünfzehn Minuten, die ich wartend vorm Eingang der Mensa verbrachte, und die mir genug Zeit gaben, um ins ethnologische Feld einzutauchen.
Menschen, die sich durchaus in meinem Alter befinden, repräsentieren an der Uni mit einem Male längst vergangene Epochen, die sich durch Schnäuzer, Goldketten und wehende Schals auszeichnen. Sie tragen alte Lederkoffer mit sich und blicken ernst, als wären darin keine normalen Collegeblöcke oder studentische Kopien, versehen mit Kritzeleien und malerischen Werken der Langeweile, sondern tatsächliche Schriften à la Weber oder Marx, die den Fortschritt der Menschheit beschleunigen oder gar wesentlich verändern könnten. 
 
Und wie es diejenigen gibt, die ihr Gastspiel an der Uni-Bühne so kostümiert bestreiten, als hätten sie gerade den Speicher aufgeräumt, so gibt es auch jene, die sich der alljährlichen Mode verschreiben; sie tragen lange Kleider, quietschende Farben, bunte Hosen … und Brillen. 
Augenscheinlich ist es seit einiger Zeit angesagt, große Brillen zu tragen, über die man sich in zehn Jahren todlachen wird, denn mittlerweile tragen auch jene Menschen eine Brille, die gar keine benötigen. Mode ist ein Wunsch, dem man sich schwer entziehen mag. Brillen sind gerade an der Uni ganz hervorragend, denn sie vermitteln offensichtlich eine gewisse, subtile Intelligenz.
Das Tragen einer Brille kann den ganz persönlichen Auftritt im Seminar mit unverhoffter Autorität und Bewunderung füllen. Es sind auch diese Menschen, die im Laufe ihrer Wortbeiträge mehrmals an signifikanten Stellen inne halten, sich räuspern und selbst dieses Räuspern mit einer tonlosen Pause versehen, um jedem zu verdeutlichen, dass gerade etwas ganz Wichtiges geschieht.


Bitte, ich möchte nicht falsch verstanden werden; ich mache mich hier nicht lustig über meine Mitstudenten. Ich wundere mich nur. Über Menschen, die genau so alt sind wie ich und doch so anders, über so viel Vielfalt, über so viel Theater - und über den Schein, der wohl nirgends so radikal, offensichtlich und doch unausgesprochen ausgelebt wird, wie an der Uni. 

Bildnachweis:Nerdbrille: http://image.spreadshirt.net

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