Montag, 25. April 2011

Die Osterlotterie

Eine Reise mit der Deutschen Bahn - und viel Glück

Es haben sich bis zum jetzigen Zeitpunkt gewiss bereits genügend Leute über die Deutsche Bahn aufgeregt und tatsächlich ist es schon beinahe ein leidiges Thema, sich mit diesen Schimpfern abzufinden, die ihrem Groll Luft machen wollen. Ein ganzer Kunstzweig ist aus der Empörung hervorgegangen, die das Reisen mit der Deutschen Bahn scheinbar bereitet: Lieder, Gedichte, Kabarett. Beinahe mag man glauben, dass ein Künstler – welcher Art er auch immer sein mag -, der keinen bahnkritischen Beitrag im Repertoire zu bieten habe, gar kein Künstler sei.

Doch man kann die Anzahl von Beschwerden drehen und wenden wie man möchte, - eines muss man ihnen lassen: sie geschehen nicht unbegründet. 

Zugfahren ist eigentlich etwas Schönes; die Landschaft fliegt mühelos an uns vorbei, wir Reisende müssen nichts tun, um uns fortzubewegen; die Züge, die wir nutzen, sind sauber und sehen richtig flott aus, wenn sie um die Ecke geschossen kommen. Die Preise … ja, die Preise sind schon ein Problem. Und scheinbar hängen die Preise auf geradezu magische Art und Weise mit dem Faktor Pünktlichkeit zusammen.
Wir Deutsche sind auch außerhalb unserer Landesgrenzen für unsere Pünktlichkeit und Genauigkeit bekannt, als pedantisch und überpünktlich, als sehr genau und pingelig werden wir gern beschrieben, - und geben wir es zu, in puncto Pünktlichkeit schmeichelt uns das durchaus. 
Ein Zug: Die Erfindung der Schnelligkeit. 
Die Erfindung der Pünktlichkeit
Aber jetzt wird’s kniffelig: Ein Unternehmen, das sich der Pünktlichkeit verschrieben hat, geht mit diesem Vorsatz um wie ein Kind zur Fastenzeit; es wird genascht, geflunkert und gelogen. Dumm nur, dass gerade Pünktlichkeit wenig Völlerei zulässt.

Als sich das Zugwesen im frühen 19. Jahrhundert in deutschen Landen als neues und modernes Fortbewegungsmittel durchsetzte, feierte man nicht nur die neugewonnene Mobilität, sondern auch den schnellen Menschen. Und die Zeit, deren Angabe bis zu diesem Jahrhundert durchaus ungenau und von Ort zu Ort in Minuten oder gar Stunden variierte, wurde festgelegt.
Es mag beinahe wahnwitzig klingen; doch gerade die Bahn brachte uns erst die Möglichkeit, pünktlich zu sein. Jahrhunderte später sollte sie sich damit ins eigene Fleisch schneiden.

Im Jahr 2011 verbinden wir den Gebrauch von Zügen kaum mehr mit technischem Fortschritt oder weitschweifender Mobilität, sondern mit einer leidigen Odyssee, deren Verlauf wir trotz Fahrplan selten genau einschätzen können und bei der es nicht wirklich einen Anlass zum Feiern gibt, - von der Ankunft abgesehen.
Das Reisen mit der Deutschen Bahn AG hat sich innerhalb der Jahrhunderte von einer Attraktion fürs Volk zu einer risikoreichen Lotterie gewandelt, bei der fast jeder Zug eine Niete ist.

Das ist vielleicht ungerecht; und wir können es verstehen, wenn es jetzt diejenigen unter den Bahnangestellten leid haben, die sich schuldig fühlen, dass ständig auf ihrem Unternehmen herum gehackt wird.
An sich ist es ja auch keine große Sache: Menschen wollen befördert werden, andere wollen und / oder können befördern.
Dass auch eine Bahnfahrt nicht automatisch reibungslos von Statten geht, dass da viel technisches Know-How und eine gewisse Organisation hinter steckt, können wir verstehen; Verständnis bringen wir auch immer wieder auf, denn oft bleibt uns Reisenden an dieser Stelle nichts anderes übrig. Im Sommer kollabieren wir und im Winter frieren wir, wir kommen kaum von der Stelle, verpassen Anschlusszüge – denn die Bahn ist ein sich geschlossenes System - und lernen neue Leute kennen, weil wir Rücken an Rücken oder Bauch an Bauch mit ihnen stehen. Zugfahren an sich stelle ich mir anders vor.

Auch in diesen Ostertagen stellte die Bahn ihre Nutzer und Anbieter auf eine harte Probe; man konnte beinahe denken, die Bahn habe sich einen Spaß erlaubt, und statt Eier Züge versteckt. In ganz Deutschland.  
Aber zum Lachen war wohl keinem.
Natürlich konnte man sich denken, dass es eng und kuschelig im deutschen Schienenverkehr gerade am Ostermontag werden würde; doch dass es so eng werden sollte, dass tatsächlich an kein Vor- und Zurück zu denken war, - ja, das war kein Spaß mehr, das war tragisch.
Gießen Hbf: Leute stehen herum und wundern sich

Deshalb, liebe Bahn ... 
guckt ihr entweder demnächst früher in den Kalender, um Feiertage wie Ostern oder Jahreszeiten wie Sommer oder Winter ausgiebig zu planen bzw. vorzubereiten; oder aber wir haben bald Szenen wie in Italien auf deutschen Bahnhöfen zu verzeichnen; da kommen die Züge nämlich oft einen ganzen Tag zu spät. Nur stört das die Italiener wenig, die veranstalten ganze Feste und die Ankunft der Reisenden gleicht einem Kindergeburtstag.
Falls dies tatsächlich euer Plan ist, liebe Bahn, dann ist dieses Bemühen um Freude durchaus rührend. Doch bitte bedenkt, dass der Deutsche kein Italiener ist; uns fehlt diese gewisse Leichtigkeit. Georg Simmel sagt, man könne nur verzeihen, wenn man auch vergessen kann. Leider erinnert ihr uns immer wieder an den Grund unseres Ärgers. 
Da werden wir manchmal ein bisschen nachtragend, - und bei Zeiten fällt es uns recht schwer, zu lächeln. Gerade, wenn wir zu spät sind.

Bildnachweis: http://www.eisenbahn-planer.de/Bilder/hintergrund2.jpg

Samstag, 23. April 2011

Neulich ... im Oberstadtaufzug

Ein Aufzug ist meist ein Ort der peinlichen Stille. Schuhpaare werden betrachtet und der Blick geht auf den Boden. Doch mindestens genau so oft ergeben sich auf der recht beschaulichen Strecke zwischen Pilgrimstein und Oberstadt ganz köstlich amüsante Situationen, deren Erwähnung an dieser Stelle stattfinden wird ...

Pünktlich zu Semesterbeginn stauen sich Menschen am Pilgrimstein, denen bei gutem Wetter die Marburger Steigung zu steil ist. Gut, dass es den Oberstadtaufzug gibt.
Zu acht quetschen wir uns in den Kleineren der beiden Aufzüge und blicken zunächst zu Boden.
"Wollen wir auch alle in die gleiche Richtung?", fragt ein gutgelaunter Marburger mit Halbglatze und kichert. Ein paar lächeln, eine Frau lacht aus Anstand, er selbst lacht vergnügt, bis ein anderer antwortet: "Also, ich will nicht nach oben. Ich will runter, in die Hölle."
Schweigen kehrt ein, während der Aufzug ruckelt.
"Ihr wollt alle in den Himmel", fährt der Mann fort, "aber ich bin ein kleines Teufelchen." Und er lacht ganz laut und freut sich.
Eine Studentin blickt ihren Gegenüber an und meint: "Gut, dass wir jetzt zu Bibelkunde müssen."

Montag, 11. April 2011

Der gute Wille zählt

Ein neues Semester beginnt; doch noch bevor es überhaupt zum Besuch von Seminaren kommen kann, steht da eine nicht zu unterschätzende Hürde im Weg: der Stundenplan.
Der Stundenplan, aha, könnte man sich nun denken. Was daran so schwer sei, ein paar Fächer aufzureihen. Aber nein, ganz ernsthaft, es ist die Königsdisziplin. 

Das Erstellen des Stundenplanes ist schwieriger, als man es sich vorstellen mag; ein Indikator dafür, dass das Abitur tatsächlich doch von Nöten ist, hat man es sich in den Kopf gesetzt, ein Studium an einer deutschen Hochschule zu beginnen; Pfeile, Verweise, Fristen, Bedingungen und Einschränkungen, Basismodule, Exportmodule, Aufbaukurse, Einführungen, Übungen und vieles mehr lassen mich am Ende ganz verwirrt da sitzen. 
Nach Kant zählt allein schon der gute Wille zu einer Tat, aber damit komme ich im 21. Jahrhundert auch nicht weiter. 
Ich will doch nur studieren. 

Fast muss ich lachen, denn wenn ich wollte, könnte ich noch bis zu drei neuen Nebenfächern wählen; zur Wahl stehen beinahe zwanzig Exportmodule, was die Sache nicht einfacher macht. 
Vollkommen frei sind wir; und erleben aufs Neue die Qual der Wahl. Nicht nur, dass sich die unterschiedlichsten Seminarthemen im Vorlesungsverzeichnis räkeln und locken, nein, auch noch das Nebenfach kann zum Sommersemester ausgetaucht werden.

Das Vorlesungsverzeichnis: ein Ort der unbegrenzten* Möglichkeiten












Für einen kurzen Moment streift mich der kühne Gedanke, erneut auf die Philosophie zu spekulieren, doch ich habe gelernt und lasse sein. Stattdessen verbringe ich beinahe eine ganze Woche damit, mir Kurzbeschreibungen durchzulesen und mich schließlich erneut in die Friedens- und Konfliktforschung zu flüchten.

Als ich an diesem Morgen das Haus verlasse, begegnen mir fröhlich schwatzende Studenten, die sich allesamt auf den Lahnwiesen und –terrassen rund um die Mensa niederlassen. Sorglos sitzen sie da, denn die Problematik der Frage, ob sie das Seminar zu den "Buddhistischen Traditionen in Asien" oder doch eher "Schimpfen. Zur Alltagskultur des Unmuts" besuchen sollen, ist ihnen vollkommen fremd. Ein wenig missmutig stapfe ich daher und betrachte, wie sie sich sonnen und den Wind durch ihr Haar pfeifen lassen.

Es ist wieder richtig was los in Marburg, und beinahe stören mich all die Menschen. Jetzt wird es wieder eng im Oberstadtaufzug oder an den Kassen der Supermärkte. Dabei fühle ich mich wie der Ersti, der hilflos in eine Welt hineingeworfen wird, deren unsichtbar gesponnene Fäden er nicht sehen kann, und sich schließlich hoffnungslos darin verheddert.  
Doch auch das ist nur eine Etappe; zwei Stunden später steht er, der Stundenplan fürs Sommersemester, und ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin.

* und bei Zeiten auch der unverständlichen Möglichkeiten